Tagung "Spiritualität des Widerstands" - Beginn der Zusammenarbeit zwischen dem Titus Brandsma Institut und dem Jägerstätter Institut

Am 23. und 24. Oktober 2025 fand an der Katholischen Privat-Universität Linz die internationale Tagung „Spiritualität des Widerstands. Interdisziplinäre Studien zu Märtyrer*innen des Nationalsozialismus“ statt. Die Veranstaltung wurde gemeinsam vom Franz und Franziska Jägerstätter Institut und dem Titus Brandsma Institut (Radboud Universität Nijmegen) organisiert und markierte den Beginn einer langfristigen wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen beiden Forschungseinrichtungen.

 

Das Franz und Franziska Jägerstätter Institut der Katholischen Privat-Universität Linz und das Titus Brandsma Institut an der Radboud Universität Nijmegen (Niederlande) haben ihre Kräfte gebündelt, um gemeinsam die Rolle der Spiritualität im Kontext des Widerstands zu erforschen. Diese Zusammenarbeit entstand aus einer Reihe persönlicher Gespräche zwischen Andreas Schmoller, dem Leiter des Jägerstätter Instituts, und Inigo Bocken, Prof. am Titus Brandsma Institut, in denen deutlich wurde, dass beide Institute aus ihrer jeweiligen Tradition und Geschichte heraus von einer ähnlichen Intuition geleitet sind. Sowohl Franz Jägerstätter als auch Titus Brandsma verkörpern eine Form christlicher Spiritualität, die sich gerade in Zeiten politischer Unterdrückung und moralischer Krise bewährt.

Die zentrale Frage, welche die beiden Institute zusammenführte, war, ob „Spiritualität“ nicht nur eine innere oder individuelle Kategorie ist, sondern auch ein hermeneutischer Schlüssel für die Erforschung des Widerstands gegen das nationalsozialistische Regime sein kann. Kann Spiritualität helfen, die historischen Realitäten dieses Widerstands in einem neuen Licht zu sehen – die Quellen von Gewissensbildung, Mut und Treue sichtbar zu machen? Und umgekehrt: Was sagt die soziale und politische Dimension dieses Widerstands über das Wesen christlicher Spiritualität selbst aus?

Von diesen Fragen ausgehend wurde die Kooperation zwischen beiden Instituten gestaltet. Sie möchte einen Raum eröffnen, in dem historische Forschung, theologische Reflexion, spirituelle Hermeneutik und philosophische Analyse miteinander ins Gespräch kommen. Die Philosophie bietet dabei nicht nur methodische Schärfe, sondern auch eine Sprache, um die zugrundeliegenden Begriffe von Freiheit, Wahrheit und Gewissen zu durchdenken – Begriffe, die im Zusammenhang von Widerstand und Martyrium eine besondere Intensität gewinnen.

Die gemeinsame Tagung „Spiritualität des Widerstands. Interdisziplinäre Studien zu Märtyrer*innen des Nationalsozialismus“ markiert den Beginn dieser Kooperation – und zugleich eine Einladung, Spiritualität neu als Quelle kritischen Bewusstseins, innerer Freiheit und verantwortlichen Handelns zu verstehen.

 

Thematische Linien 

Das Thema der Tagung – „Spiritualität des Widerstands“ – berührt ein Spannungsfeld, das sowohl historisch als auch existenziell aufgeladen ist. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus lässt sich nicht verstehen, ohne die inneren Quellen zu beachten, aus denen er gespeist wurde. In diesem Sinn eröffnet der Begriff Spiritualität eine Perspektive, die über politische oder soziologische Analysen hinausgeht. Er verweist auf die Weise, wie Menschen – im Angesicht von Unrecht und ideologischem Zwang – ihr Gewissen formten, Kraft aus Glauben oder Überzeugung schöpften und in ihrem Handeln eine tiefere Bedeutung suchten.

Historisch gesehen ist Spiritualität hier keine Weltflucht, sondern eine Weise, der Realität standzuhalten und sie in ihrer Tiefe zu konfrontieren. Sie zeigt sich in Gestalten des Widerstands, in kleinen Akten der Treue und Wahrheit, die sich der Logik von Macht und Angst widersetzen. So knüpft das Thema an die Lebenswege und Schriften von Franz Jägerstätter und Titus Brandsma an, aber auch an weniger bekannte Märtyrer*innen, Theolog*innen und Denker*innen jener Zeit.

Theologisch eröffnet der Begriff einen Raum, um über die Verbindung von Mystik und Ethik nachzudenken – darüber, wie die Gotteserfahrung sich in konkreten Entscheidungen ausdrückt. Spiritualität wird so verstanden als eine Form der Inkarnation: Glaube, der sich in Taten, Verantwortung und Solidarität mit den Opfern der Geschichte verwirklicht.

Aus philosophischer Sicht stellt das Thema erneut die Fragen nach Freiheit, Wahrheit und Gewissen. Was bedeutet Freiheit, wenn Gehorsam gegenüber dem Gewissen zu einer lebensgefährlichen Tat wird? Wie verhalten sich Wahrheit und Gewalt in totalitären Kontexten? Und wie kann ein Mensch einer inneren Wahrheit treu bleiben, wenn die öffentliche Vernunft unter Druck steht?
In diesem Zusammenhang erwies sich das Werk von Alois Dempf, selbst ein Opfer des Nationalsozialismus, als besonders relevant: Seine Überlegungen zum Verhältnis von Glaube, Kultur und Staat sind ein Versuch, menschliches Handeln jenseits von Ideologie und Macht zu denken.

Die Tagung wollte diese Linien nicht streng trennen, sondern miteinander in Resonanz bringen. Historiker, Theologen, Philosophen und Spiritualitätsforscher kamen ins Gespräch darüber, wie innere Überzeugung und äußeres Handeln sich gegenseitig beeinflussen. Dabei wurde deutlich, dass die „Spiritualität des Widerstands“ nicht nur ein Forschungsgegenstand ist, sondern auch eine Einladung zur Selbstreflexion: Wie gehen wir heute mit Wahrheit, Verantwortung und dem Mut zum Nein um?

 

Biografische Studien

Das Thema wurde anhand biografischer Studien von Männern und Frauen entfaltet, in deren Leben die Verbindung von Widerstand und christlicher Spiritualität sichtbar wird. So erhielt die Thematik ein menschliches und existenzielles Gesicht: Der innere Weg von Gewissensbildung, Glaube und Verantwortung wurde mit konkreten historischen Entscheidungen verknüpft.

Bischof Manfred Scheuer, Postulator im Seligsprechungsprozess von Franz Jägerstätter, eröffnete die Vortragsreihe mit einer Reflexion über die Wahrheit im Leben Jägerstätters. Er verband dessen Zeugnis mit der Tradition der Unterscheidung der Geister, in der Wahrheit und Lüge als geistige Mächte einander gegenüberstehen. Die Lüge, so Scheuer, greift immer die Würde des Menschen an; die Wahrheit hingegen befreit den Willen – selbst wenn die Hände gefesselt sind. So erscheint Jägerstätters Martyrium als Suche nach Wahrheit und Liebe in einer Zeit der Lieblosigkeit.

Dr.in Daniela Köder, Vorstandsmitglied der Edith-Stein-Gesellschaft Österreich, widmete ihren Beitrag Edith Stein, deren Widerstand selten ausdrücklich politisch genannt wird. Sie verwies auf ihren Brief von 1933 an Papst Pius XI., in dem Stein den Nationalsozialismus als Häresie und Verneinung Gottes bezeichnete. Ihr Übergang von Husserls Phänomenologie zum christlichen Glauben war, so Köder, eine Suche nach Wahrheit, die sie schließlich zur Mystik des Kreuzes (Kreuzeswissenschaft) führte. Ihre Verbundenheit mit dem jüdischen Volk und ihre Identifikation mit der Gestalt der Esther bekamen dadurch eine prophetische Bedeutung.

Dr. Andreas Schmoller, Leiter des Jägerstätter Instituts, beleuchtete das Leben von Père Jacques (Lucien Bunel), dem französischen Karmeliten, der jüdische Kinder rettete und kurz nach der Befreiung im KZ Mauthausen starb. Schmoller zeigte, wie Bunels Weg vom charismatischen Prediger zum kontemplativen Ordensmann von inneren Krisen und moralischer Reinigung geprägt war – „ich musste gebrochen werden“. Seine Spiritualität war eine des Gehorsams, der Hingabe und letztlich des Widerstands: eine Pädagogik der Nächstenliebe in Aktion.

Dr.in Anne-Marie Bos (Titus Brandsma Institut) untersuchte Titus Brandsma als „Kämpfer des Geistes“. Anhand seiner eigenen Texte zeigte sie, dass verschiedene Formen des Widerstands unterschieden werden können: die Stärkung der inneren Widerstandskraft, die Annahme des Unvermeidlichen, das Nutzen von Zwischenräumen und das Ziehen klarer Grenzen. Diese feinen Formen des Widerstands eröffnen neue Perspektiven auf das, was „Widerstand“ bedeuten kann, und zeigen, wie sich Brandsmas Spiritualität der Wahrheit und Freiheit in konkreten Haltungen ausdrückt – nicht nur in heroischen Taten.

Dr.in Sandra Lehmann (Universität Wien) sprach über Simone Weil und ihren Plan für einen „Verband von Frontkrankenschwestern“ – eine konkrete Form des Dienstes, in der Mystik und soziales Engagement zusammenfielen. Lehmann zeigte, dass Weil eine „andere Form des Mutes“ verkörperte: nicht den heroischen Akt, sondern die Bereitschaft, dem Leiden der anderen nahe zu bleiben.

Prof. Wolfgang C. Schneider (Universität Hildesheim) beschrieb in seinem Vortrag Johannes Maria Verweyen als einen Suchenden radikaler Ehrlichkeit, der die Spannungen zwischen Glaube, Wissenschaft und Moderne bis zuletzt durchdachte. Sein Lebensweg, „verschlungen und doch geradlinig“, wurde so zu einem Zeugnis geistiger Freiheit und Liebe – selbst in den Bedingungen der Verfolgung.

Der Tag endete mit einer Reflexion und einem thematischen Stadtrundgang durch Linz, geleitet von Andreas Schmoller und Dr.in Verena Lorber vom Jägerstätter Institut bei dem Spuren von Widerstand und Erinnerung im Stadtbild sichtbar wurden.

Die Eröffnungsvorlesung hielt Prof. Inigo Bocken über Alois Dempf. Dempf war kein Märtyrer, doch leistete er mit seiner Philosophie eine Form intellektuellen Widerstands gegen das nationalsozialistische Denken – ein Widerstand, der seine akademische Laufbahn beendete. Bocken zeigte, wie Dempf die wahre Mystik der ideologischen Pseudospiritualität seiner Zeit entgegensetzte und so den Unterschied zwischen geistiger Freiheit und politischer Macht wachhielt. Ein besonderer Moment war die Anwesenheit von zwei Enkelkindern Alois Dempfs, die die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart auf bewegende Weise sichtbar machten.

Zusammenarbeit und Zukunftsperspektiven

Nach dem Abendvortrag wurde die Kooperation zwischen dem Franz und Franziska Jägerstätter Institut der Katholischen Privat-Universität Linz und dem Titus Brandsma Institut der Radboud Universität Nijmegen offiziell mit der Unterzeichnung eines Kooperationsvertrags / Memorandum of Understanding besiegelt.

Diese Unterzeichnung war ein Moment der Begegnung und Freundschaft zwischen beiden Instituten – der symbolische Beginn eines europäischen Forschungsnetzwerks, das die spirituelle Dimension des Widerstands auch angesichts heutiger Herausforderungen weiter erhellen möchte.

Schlussbetrachtung

Die Tagung „Spiritualität des Widerstands“ machte deutlich, dass Widerstand nicht nur ein historisches oder politisches Phänomen ist, sondern auch eine spirituelle Haltung – eine Weise, in der Welt zu stehen, die in Wahrheit, Freiheit und Gewissen verwurzelt ist. In den Biografien von Franz Jägerstätter, Edith Stein, Titus Brandsma, Simone Weil, Père Jacques und Johannes Maria Verweyen wurden verschiedene Formen dieser inneren Standhaftigkeit sichtbar – stets getragen von der Überzeugung, dass der Mensch berufen ist, dem Gewissen treu zu bleiben, auch wenn dies Isolation oder Leid bedeutet.

Besonders war, dass die Tagung diese Zeugnisse nicht als abgeschlossene Geschichten präsentierte, sondern als lebendige Fragen: Was heißt es heute, zwischen Wahrheit und Lüge, Freiheit und Anpassung, Geist und Macht zu unterscheiden? Die Stimmen der Vergangenheit wurden so zu einem Spiegel der Gegenwart – zu einem Appell an geistige Wachsamkeit in einer Zeit, in der moralische und spirituelle Orientierung erneut unter Druck geraten.

Die Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen den beiden Instituten gab diesen Gedanken eine nachhaltige Form. Was an diesem Tag an Begegnung und Inspiration sichtbar wurde, erhält so eine Zukunft in gemeinsamer Forschung, Lehre und öffentlichem Dialog. Beide Institute teilen die Überzeugung, dass Spiritualität keine Flucht aus der Welt ist, sondern eine Weise, sie tiefer zu verstehen – und dass der Widerstand gegen Unrecht im Gewissen beginnt, im Mut zur Unterscheidung und im Zeugnis für die Wahrheit.

Flyer (Programm der Tagung)

Inigo Bocken und Andreas Schmoller